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Wird Covid-19 ein Notrettungsprogramm für die Ärmsten der Welt in Gang setzen?

Adam Parsons STWR
2020年4月14日

Die eigentliche Frage ist, ob Covid-19 uns dazu erwecken wird, die starken Ungleichheiten unserer Welt zu erfassen oder bedeutet es lediglich eine weitere Ursache für dieVerarmung von riesigen Teilen der Menschheit, die so lange schon vom öffentlichen Gewissen ignoriert wird.


Seit Anfang 2020 sind wir in eine außergewöhnliche neue Ära eingetreten. Noch immer gibt es viel Angst und Unsicherheit darüber, was vor uns liegt, und die meisten Länder erleben eine Art soziale und politische Revolution, wie sie in der Nachkriegszeit bisher beispiellos war. Aber inmitten der Tragödie und des Leidens der Covid-19 Betroffenen, gibt es ein Wiedererwachen von Hoffnung auf zukünftige Möglichkeiten in diesem epochalen Moment. Politische Aktivisten jeglicher Art verbreiten ihre fortschrittlichen Agenden und sehen die Krise als Wendepunkt, der möglicherweise zu einer gerechteren und nachhaltigeren Wirtschaft führen könnte.

Der Grund für Optimismus liegt auf der Hand. Da die großen Volkswirtschaften vorübergehend eingefroren sind, stehen dieenormen staatlichen Interventionen im direkten Widerspruch zu den vorherrschenden Ideologien unserer Zeit. Das Credodes freien Marktes, das die Welt seit fast 40 Jahren beherrscht, ist praktisch wieder einmal gescheitert. Die Regierungensehen sich dazu gezwungen mit großen Anstrengungen dieWirtschaftsplanung zu übernehmen, um eine ökonomischeKatastrophe abzuwenden.

In der gesamten westlichen Welt haben staatlich verhängte Sperren eine Politik der sozialen Solidarität erforderlich gemacht, die bisher undenkbar war. Rettungsprogramme unterscheiden sich stark in Bezug auf soziale Schutzmaßnahmen, Zahlungsmittel und Arbeitnehmerrechte, aber die Regierungen sehen keine andere Alternative, um unter diesen Umständen die Sicherheit des Lebensunterhalts von Millionen von Menschen zu sichern.

Trotz der Mängel vieler Programme haben sie gemeinsam den Mythos zunichte gemacht, dass Regierungen es sich nicht leisten könnten, radikale pro-soziale Investitionen zu realisieren. Nie zuvor gab es einen solchen Fall das Recht aller auf einen angemessenen Lebensstandard und darüber hinaus zu gewährleisten, außer in der gegenwärtigen Krise,insbesondere durch die Rücknahme von Sparmaßnahmen und der Privatisierung wesentlicher öffentlicher Dienstleistungen.

Sogar ein universelles Grundeinkommen wurde plötzlich wiederbelebt im Interesse der Bevölkerung und wird von politischen Entscheidungsträgern jeder politischen Meinungernsthaft diskutiert. Aus jeglicher Himmelsrichtung wird gefordert, eine andere Art von Wirtschaft aufzubauen, die die Grenzen des Marktes erkennt und die Finanzen in den Dienst der grundlegenden Menschenrechte stellt.

Das Schlimmste der Pandemie steht jedoch noch bevor, und es ist noch zu früh, um zu sagen, wie sich die Ereignisse entwickeln werden. Eine Implosion der globalen Finanzmärkte ist eine unmittelbar bevorstehende Möglichkeit, wobei eine globale Rezession möglicher Rekorddimensionen nahezu sicher ist. Was wird dann mit den sozialenSicherheitsnetzen und den wirtschaftlichen Prioritäten geschehen - wird die Last der Anpassung dann wirklich von großen Unternehmen und wohlhabenden Eliten getragen, oder werden die Regierungen die Kosten, wie bereits seit 2008, auf die arme Arbeiterschaft abladen?

Ungleiche Ergebnisse

Die einzige Gewissheit ist, dass die am stärksten gefährdeten und ausgeschlossenen Mitglieder der Gesellschaft, wie bei allen Wirtschaftskrisen, die schlimmsten Folgen tragenwerden. Wir mögen alle davon betroffen sein, und das Coronavirus mag nicht die sozioökonomische Klasse diskriminieren, aber die Erfahrung der Ausgangsbegrenzungwird in Bezug auf die Position und den Platz in der Gesellschaft sehr unterschiedlich sein. Das betrifft vor allem diejenigen, die an den am stärksten unterdrückten Orten der Welt leben, an denen selbst grundlegende Gesundheitsempfehlungen nicht befolgt werden können. Ständige Medienberichte stellen nun die Frage, wie eine Milliarde Menschen in Slums soziale Distanzierung praktizieren oder häufig Hände waschen können, wenn es keinen einfachen Zugang zu sauberem Wasser oder sanitären Einrichtungen gibt (eine Situation, von der 40% der Weltbevölkerung betroffen sind).

Die Aussichten für Millionen von Migranten und Heimatvertriebenen Menschen, Gefangene, Obdachlose und Menschen, die in katastrophengefährdeten Gebieten leben, sind erschreckend. Sie sind nicht nur am stärksten derInfektion ausgesetzt, sondern haben auch am wenigsten Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung und sind am schlimmsten von den Einkommensverlusten betroffen. Die 25,9 Millionen Flüchtlinge der Welt, von denen möglicherweise eine große Anzahl in überfüllten temporären Siedlungen für sich selbst sorgen muss, werden keine staatlichen Unterstützungspakete erwarten.

Für viele einkommensschwache Länder könnte die aktuelle Gesundheitskrise zu einem „Doppelschlag“ werden, der die bestehenden humanitären Herausforderungen wie Konflikte, Dürren, Heuschreckenplage oder endemische Armut verschärft. Die Gesundheitssysteme sind im gesamten globalen Süden bereits überlastet, insbesondere dort, wo vom IMF unterstützte Sparmaßnahmen eingeführt wurden. Zahlreiche Länder haben Wellen von Haushaltsanpassungsprogrammen erlebt, die die Sozialschutzsysteme zunehmend ausgehöhlt, die Arbeitsrechte eingeschränkt und die prekärenArbeitsbedingungen verschärft haben.

Wenn das Virus in seiner „dritten Welle“ - nach China, nach Europa und in den Entwicklungsländern – noch einmal loslegt, könnten die Folgen für Regierungen mit geringen Ressourcen, die bereits von anderen humanitären Katastrophen betroffen sind, verheerend sein.

Wie John Pilger erinnert hat, verblassen die Todesfälle durch Covid-19 immer noch im Vergleich zu den 24.600 Menschen, die jeden Tag unnötig an Hunger sterben, oder den 3.000 Kindern, die an vermeidbarer Malaria sterben. Ganz zu schweigen von anderen Armutskrankheiten wie Tuberkulose oder Lungenentzündung, der Cholera-Krise im Jemen oder den unzähligen täglichen Todesfällen aufgrund von Wirtschaftssanktionen in Ländern wie Venezuela und Iran. Für diese Menschen wurde noch nie eine Pandemie oder ein globaler Notfall ausgerufen.

Wird Covid-19 uns daher die starken Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten unserer Welt ins Bewusstsein rufen, oder wird es einfach eine neue Ursache der Verarmung für weite Teile der Menschheit darstellen, die vom öffentlichen Gewissen schon lange Zeit ignoriert werden?

Ein globaler Aktionsplan

Angesichts der enormen Herausforderungen für weniger entwickelte Länder ist es wichtig, dass die Regierungen auf diesen globalen Gesundheitsnotstand durch echte Zusammenarbeit und die gemeinsame Nutzung internationaler Ressourcen reagieren. Die Entwicklungsländer befinden sich bereits in Aufruhr wegen sinkender Rohstoffpreise und ausländischen Direktinvestitionen, einem Rückgang des Tourismus und der Abschwächung ihrer eigenen Inlandsnachfrage - noch bevor die sozioökonomischen Auswirkungen des Virus durchgreifen.

Hoch verschuldete Länder sehen sich auch einem „Doppelschlag“ rückläufiger Exporte und stark gestiegener Kreditkosten gegenüber, was die Aussicht auf eine neue Schuldenkrise in Südostasien, Lateinamerika und Afrika erhöht. Die Notwendigkeit für globales wirtschaftliches Teilengeht jedoch über die moralischen Erfordernisse hinaus: Wenn wir nicht verhindern, dass in diesen Regionen das Chaos ausbricht, könnte das Virus die Welt umrunden und in reichere Länder zurückkehren.

Das Ausmaß eines Notfallplans wird von Oxfam kühn zusammengefasst, die die Regierungen dazu auffordert, eine global koordinierte und massive Investition in die öffentliche Gesundheit durchzuführen. Dies erfordert ein Maß an internationaler Hilfe, das es in unserer Geschichte noch nie gab, sowie auch einen sofortigen bedingungslosen Schuldenerlass für arme Länder.

Oxfam schätzt, dass die Verdoppelung der Gesundheitsausgaben der 85 ärmsten Länder, in denen fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, 159,5 Milliarden US-Dollar kosten würde. Vergleichen Sie das mit den Billionen vonDollar, die die Vereinigten Staaten und die Europäische Union bei ihren Soforthilfemaßnahmen einsetzten. Im Gegensatz dazu haben die Vereinten Nationen bisher lediglich 2 Milliarden US-Dollar zur Finanzierung ihres Plans für humanitäre Hilfe gefordert. Dieser Betrag ist angesichts des Ausmaßes und der Komplexität der Krise völlig unzureichendund dazu auch noch weit entfernt davon erfüllt zu werden.

Über diese Nothilfe hinaus besteht auch die dringende Notwendigkeit, die Weltwirtschaft längerfristig zu verändern. Die Coronavirus-Krise hat erneut Impulse für wichtige strukturelle Finanzreformen gegeben, darunter Maßnahmen gegen Steueroasen, Schuldenerlass und Änderungen der Handelsregeln. Dies ist wichtig, damit ärmere Nationen Arbeitsplätze schützen und umfassende, universelle öffentliche Dienste und Sozialschutzsysteme aufbauen können.

Vor allem sollte ein massives globales Konjunkturpaket darauf ausgerichtet sein, grüne Industrien zu unterstützen, anstatt die Interessen an fossilen Brennstoffen weiter zu verankern. Ähnliche Vorschläge für einen Global Green New Deal wurden nach der letzten Finanzkrise vor über einem Jahrzehnt unterbreitet: Jetzt läuft den Regierungen die Zeit davon, maximale Ressourcen für die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft und die Wiederherstellung unserer natürlichen Ökosysteme zu mobilisieren. Ein `gerechter Übergang´ in genügendem Ausmaß wird auch dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu erhöhen, da das die Produktion diversifizieren und ihre starke Abhängigkeit von Rohstoffen verringert.

Im Geiste der Solidarität

Das UN-Handels- und Entwicklungsgremium UNCTAD hat erneut einen neuen Marshall-Plan für den globalen Süden gefordert, in dem die G20-Staaten solidarisch handeln, um die 6 Milliarden Menschen zu unterstützen, die außerhalb ihrer Kernökonomien leben. Es gibt jedoch wenig Hoffnung auf ein solches historisches Ereignis einer koordinierten globalenFührung, wenn die mächtigsten Nationen - insbesondere die Vereinigten Staaten - die Weltpolitik weiterhin als Nullsummenspiel betrachten, in dem Staaten konkurrieren,anstatt zu kooperieren. Die globale Pandemie ist in einer Krise des Multilateralismus aufgetreten, der die Fähigkeit der Regierungen zum kollektiven Handeln in den Jahren nach dem Absturz zunehmend erodiert hat. Daher ist es nicht verwunderlich, dass das Virus bereits schneller ist in seiner Verbreitung als wir bei unserer globalen Reaktion darauf.

Die Verantwortung für die Umgestaltung der geopolitischen Beziehungen liegt nach wie vor nicht bei einflussreichen Staatsoberhäuptern, sondern bei uns. Es mag viele ermutigende Beweise für nationale und lokale Solidarität während dieser Zeit der Beschränkungen geben, aber die Frage bleibt, ob dies international umgesetzt wird, sobald ein Impfstoff entdeckt wird.

Werden sich die privilegierteren Menschen in wohlhabenden Gesellschaften weiterhin zu unserer globalen Vernetzung bekennen, während sie angesichts der schlimmen Ungleichheit, die die halbe Welt verarmt, mit den Schultern zucken? Oder werden wir unsere Forderungen in einem ohrenbetäubenden Aufruf zur Sicherung der grundlegenden sozioökonomischen Rechte aller vereinen, was den grundlegenden Zweck der Vereinten Nationen direkt stärken würde?

Es ist eine Sache, die Rettung eines Volkes allein in einzelnen Nationen zu fordern, aber es ist etwas anderes, eine Rettung des globalen Volkes zu fordern, von der jeder benachteiligte Einzelne und jede benachteiligte Familie in allen Ländern profitiert. Wenn die Coronavirus-Krise etwas von bleibender menschlicher Bedeutung offenbart, muss es sicherlich diese Notwendigkeit sein, endlich den phänomenalen Reichtum und die ausgiebigen Ressourcen unseres Planeten zu teilen.


Adam Parsons ist der Editor von Share The World's Resources (STWR), einer zivilgesellschaftlichen Organisation mit Sitz in London, Großbritannien, mit beratendem Status beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen.

Übersetzung: Ute Redl und Sonja Scherndl

Image credit: Giacomo Carra on Unsplash